Bewertungsmethoden im Überblick
Seit dem 1. Januar 2025 werden Parteigutachten vor Schweizer Gerichten als Beweismittel anerkannt. Im neuen Blogartikel diskutieren wir, welche Bewertungsmethoden dabei wichtig sind.

24.09.2025, Matthias Hafner, Nina Schnyder, Michael Altorfer
Ein finanzieller Schaden wird in der Regel als Differenz zwischen zwei Szenarien bestimmt: der tatsächlich eingetretenen Situation nach dem Schadenereignis und der hypothetischen Entwicklung ohne dieses Ereignis. Bewertungsgrössen können dabei Gewinn, Vermögen oder Cashflow sein.[2] Die Herausforderung besteht dabei darin, dieses hypothetische bzw. kontrafaktische Szenario konsistent und plausibel zu konstruieren und die Werte zu quantifizieren. Eine Schadensbewertung ist deshalb weit mehr als eine Rechenaufgabe. Sie wirft komplexe Fragen auf – etwa zur Modellierung des kontrafaktischen Verlaufs, zur Plausibilität der Annahmen, zur Berücksichtigung möglicher Schadensminderungen oder zur Wahl der geeigneten Bewertungsmethode.
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die letzte Frage, nämlich die Wahl der sachgerechten Bewertungsmethode. In diesem Blogbeitrag geben wir einen kurzen Überblick über die wichtigsten Methoden und die jeweils grössten Herausforderungen.
Bewertungsmethoden im Überblick
Für die Bewertung existieren drei international etablierte Ansätze: der Marktansatz, der Ertragswertansatz und der Kosten- bzw. Vermögensansatz.
Für die Bewertung existieren drei international etablierte Ansätze: der Marktansatz, der Ertragswertansatz und der Kosten- bzw. Vermögensansatz.
- Der Marktansatz orientiert sich am aktuellen Marktgeschehen. Ein tatsächlich gezahlter Preis ist in der Regel der beste Indikator für den Wert eines Vermögenswerts, da er sowohl aktuelle Informationen wie auch Zukunftserwartungen beinhaltet. Oft liegt ein solcher Preis jedoch nicht vor, da der Vermögenswert zum Bewertungsstichtag nicht auf einem liquiden Markt gehandelt wurde. Daher wird bei dieser Methode in der Regel auf Transaktionen ähnlicher Vermögenswerte und/oder auf zeitlich verschobene Transaktionen zurückgegriffen. Hierbei kommen Multiplikatoren wie Umsatz- oder EBITDA-Faktoren zum Einsatz, um für Grössenunterschiede zu korrigieren. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner Nähe zum Markt. Es setzt jedoch voraus, dass vergleichbare Transaktionen vorhanden und konsistent aufbereitet wurden. Zu berücksichtigen sind etwa Unterschiede in der Rechnungslegung (z. B. zwischen IFRS und US GAAP) oder der Einfluss von Kontroll- und Liquiditätsprämien.
- Der Ertragswertansatz richtet den Blick in die Zukunft. Bewertet wird auf der Basis der prognostizierten zukünftigen Gewinne bzw. “Cashflows” eines Vermögenswerts. Die bekannteste Methode ist die Discounted-Cashflow-Methode (DCF).[3] Hierbei werden die zukünftigen Cashflows über einen vorher festgelegten Prognosehorizont geschätzt, aufaddiert und mit einem Diskontsatz[4] auf den heutigen Wert abgezinst. Zusätzlich wird ein sogenannter Endwert (Terminal Value) berechnet, der den Wert über den Prognosehorizont hinaus abbildet. Das Verfahren eignet sich insbesondere für etablierte Unternehmen mit stabilen und robust prognostizierbaren Erlösen und Kosten. Bei Start-ups oder Firmen ohne belastbare Erfahrungswerte ist dagegen Vorsicht geboten, da die Erlöse und Kosten eine geringe Prognosesicherheit aufweisen. Unabhängig vom Unternehmenstyp empfiehlt es sich, Sensitivitätsanalysen vorzunehmen – insbesondere in Bezug auf den Diskontsatz und den Terminal Value, da bereits kleine Änderungen dieser Annahmen grosse Auswirkungen auf den ermittelten Unternehmenswert haben können.
- Der Kosten- bzw. Vermögensansatz schliesslich bestimmt den Wert eines Vermögenswerts anhand von dessen Kosten. Wie Ludvigsen (2004) beschreibt, gibt es dabei mehrere Methoden, die unterschiedliche Arten von Kosten berücksichtigen.[5] In der Schweiz kommt insbesondere das Substanzwertverfahren zur Anwendung. Dabei werden die Vermögenswerte erfasst und um bestehende Verbindlichkeiten reduziert. Die Methode liefert einen greifbaren, stark an der Bilanz orientierten Wert, der nur in geringem Mass von Prognosen abhängt. Allerdings blendet diese Methode künftige Entwicklungen, Ertragschancen und Innovationskraft weitgehend aus und kann durch Bilanzierungsentscheidungen verzerrt werden. Sie kommt daher vor allem in Situationen mit unsicherer Fortführung, etwa bei Liquidationen, zur Anwendung oder wenn die Anwendung des Markt- und Ertragswertansatzes aufgrund der Informationslage oder Natur der Vermögenswerte unmöglich ist. Bei ertragsgenerierenden Assets spielt der Kostenansatz eine untergeordnete Rolle.[6]
In der Schweiz hat sich in der Steuerpraxis zusätzlich die Praktikermethode etabliert. Sie kombiniert den Substanz- und den Ertragswert und gilt damit als typisch schweizerischer Kompromiss. Aufgrund ihrer Einfachheit wird die Praktikermethode primär von der Steuerbehörde verwendet.[7] Allerdings ist sie international kaum anerkannt und bildet die ökonomische Realität nur teilweise ab. Sie gibt einen grobe, konservative Einschätzung ab, für fundierte Bewertungen ist sie jedoch nicht ausreichend.[8]
Welcher Ansatz geeignet ist, hängt vom Bewertungsobjekt, der Datenlage und dem Zweck der Bewertung ab. Bei Transaktionen kommen in der Regel mehrere Ansätze zur Anwendung.
Herausforderungen in der Praxis
Mit perfekter Information sind Bewertungen theoretisch einfach durchzuführen. Insbesondere in Streitfällen können sich aber verschiedenste Herausforderungen ergeben, die über den Erfolg im Verfahren entscheiden können.
Mit perfekter Information sind Bewertungen theoretisch einfach durchzuführen. Insbesondere in Streitfällen können sich aber verschiedenste Herausforderungen ergeben, die über den Erfolg im Verfahren entscheiden können.
1. Auswahl der richtigen Methode
Die Wahl der passenden Bewertungsmethode – oder des richtigen Bündels an Methoden – ist entscheidend. Selbst wenn jede Zahl korrekt und jede Annahme sauber dokumentiert ist, bleibt das Ergebnis wertlos, wenn die methodische Grundlage nicht zum Bewertungsobjekt passt. Nur eine sorgfältige Abwägung der Stärken und Schwächen der verschiedenen Ansätze sowie deren konsistente Kombination führt zu belastbaren Resultaten. Die International Valuation Standards (IVS) sowie die Fachliteratur bieten wertvolle Leitlinien bei der Methodenwahl.[9]
2. Datenqualität und -aufbereitung
Ohne verlässliche Daten kann auch die beste Methode nicht zu einem überzeugenden Ergebnis führen. Entscheidend ist daher, die richtigen Daten zu identifizieren, aufzubereiten und Verzerrungen zu korrigieren, beispielsweise durch kritische Prüfung unternehmenseigener Prognosen, die Wahl der Vergleichsobjekte oder durch Anpassung internationaler Rechnungslegungsunterschiede. Hinzu kommt der Bewertungsstichtag. Die Daten müssen dem Stichtag entsprechen. Informationen, die erst nach dem Stichtag verfügbar wurden, dürfen nicht einbezogen werden.[10] Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen in dynamischen Märkten schnell, weshalb die Aktualität der verwendeten Daten entscheidend ist. Dieses Spannungsfeld gilt es zu meistern.
3. Modellierung und Auswertung der Ergebnisse
Die Ergebnisse einer Bewertung müssen auf stabiler Grundlage beruhen. Zentral sind Sensitivitätsanalysen, um die Wirkung wesentlicher Annahmen, etwa zu Kapitalkosten oder Wachstumsraten, transparent zu machen. Internationale Standards wie die IVS verlangen nachvollziehbare und konsistente Resultate und die Fachliteratur betont die Relevanz, alternative Szenarien und Bandbreiten aufzuzeigen.[11] Belastbar wird eine Bewertung zudem auch durch die Triangulation verschiedener Methoden, deren Ergebnisse im Idealfall konsistent sind oder deren Abweichungen sauber begründet werden. Nur ein solches, methodisch abgesichertes Vorgehen verleiht den Resultaten Überzeugungskraft und lässt sich vor Gericht verteidigen.
4. Interpretation und transparente Dokumentation
Am Ende entscheidet die Aufbereitung der Ergebnisse über die Überzeugungskraft einer Bewertung. Selbst methodisch saubere Modelle und belastbare Daten entfalten keine Wirkung, wenn sie nicht klar strukturiert, nachvollziehbar und adressatengerecht kommuniziert werden. Für Richterinnen und Juristen ist eine transparente und lückenlose Argumentationskette zentral, in der Annahmen, Methodenwahl und Ergebnisse klar miteinander verknüpft sind. Durch diese stringente Darstellung wird eine robuste Wahrnehmung der Bewertung sichergestellt. Die Kunst liegt darin, komplexe ökonomische Sachverhalte so zu übersetzen, dass sie fachlich korrekt sind und zugleich verständlich präsentiert werden. Damit schliesst die Interpretation und Dokumentation den Bewertungsprozess ab – sie verbindet Methodik, Daten und Modellierung zu einem konsistenten Gesamtbild.
Fazit
Die Schadensbewertung ist ein unverzichtbares Instrument, um wirtschaftliche Ansprüche in Gerichts- und Schiedsverfahren präzise und nachvollziehbar zu quantifizieren. Dabei sind die Wahl der passenden Methode, der korrekte Umgang mit Daten, die einwandfreie Auswertung und die transparente Darstellung der Resultate entscheidend. Nur wenn diese Elemente stimmen, ist das Ergebnis sowohl ökonomisch belastbar als auch rechtlich verwertbar.
Schliesslich müssen die oft komplexen Analysen so präsentiert werden, dass sie von Gerichten verstanden und verwendet werden können. Eine klare und verständliche Aufbereitung stellt sicher, dass auch Nicht-Ökonomen die Bewertung nachvollziehen können. Dadurch wird die Schadensbewertung zu einer verlässlichen Grundlage für faire Entschädigungen und trägt dazu bei, Konflikte sachgerecht und nachhaltig zu lösen.
Quellenangaben
[1] Art. 177 ZPO.
[2] Siehe z.B. Allen, Hall, Lazear (2011). Reference Guide on Estimation of Economic Damages. In National Research Council (Hrsg.), Reference Manual on Scientific Evidence.
[3] Siehe z.B. Hörler, V., Hauser, M.A., Gehrig, M. (2019). Die Schweizer Praxis der Unternehmensbewertung. oder Mukhlynina, L., Kjell, N.G. (2020). The Choice of Valuation Technique in Practice: Education Versus Profession. Critical Finance Review, 9(1-2).
[4] Der Diskontsatz verdient ein Blogeintrag für sich und wird an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt.
[5] Ludvigsen (2004). Wie bewerten man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Jurististische Praxis, 10.
[6] International Valuation Standards.
[7] Die ESTV bewertet Unternehmen für Belange der Verrechnungssteuer und Stempelabgaben in der Regel nach der Praktikermethode.
[8] Gantenbein, P., Gehrig, M. (2007). Moderne Unternehmensbewertung: Bewertungsziel mit Methodenmix erreichen. Der Schweizer Treuhänder, 9.
[9] Siehe z.B. Ludvigsen (2004). Wie bewertet man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Juristische Praxis, 10.
[10] International Valuation Standards.
[11] Siehe z.B. Ludvigsen (2004). Wie bewertet man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Juristische Praxis, 10.
[1] Art. 177 ZPO.
[2] Siehe z.B. Allen, Hall, Lazear (2011). Reference Guide on Estimation of Economic Damages. In National Research Council (Hrsg.), Reference Manual on Scientific Evidence.
[3] Siehe z.B. Hörler, V., Hauser, M.A., Gehrig, M. (2019). Die Schweizer Praxis der Unternehmensbewertung. oder Mukhlynina, L., Kjell, N.G. (2020). The Choice of Valuation Technique in Practice: Education Versus Profession. Critical Finance Review, 9(1-2).
[4] Der Diskontsatz verdient ein Blogeintrag für sich und wird an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt.
[5] Ludvigsen (2004). Wie bewerten man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Jurististische Praxis, 10.
[6] International Valuation Standards.
[7] Die ESTV bewertet Unternehmen für Belange der Verrechnungssteuer und Stempelabgaben in der Regel nach der Praktikermethode.
[8] Gantenbein, P., Gehrig, M. (2007). Moderne Unternehmensbewertung: Bewertungsziel mit Methodenmix erreichen. Der Schweizer Treuhänder, 9.
[9] Siehe z.B. Ludvigsen (2004). Wie bewertet man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Juristische Praxis, 10.
[10] International Valuation Standards.
[11] Siehe z.B. Ludvigsen (2004). Wie bewertet man ein Unternehmen? Bewertungsmethodik erklärt für Juristen. Aktuelle Juristische Praxis, 10.
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